Dezembergedanken/ Beitrag (5)
#1
Von Astrid Braune:
Dezembergedanken
Als Kind fand ich den Dezember wunderschön. Wochenlang schon roch es in der Küche nach Vanille, Zimt und Lebkuchengewürzen. Mama backte unzählige Plätzchen. Tiefer, weißer Schnee sorgte für vereiste Knoten an den Stiefeln und dafür, dass beim Auftauen der Zehen und Füße immer viele Tränen flossen. Mama hat mich getröstet.
Seit zwei Jahren ist Mama nun nicht mehr. Sie starb im Dezember, in der Nacht nach der Weihnachtsfeier im Pflegeheim, am 21. Dezember, um genau zu sein. Friedlich ist sie eingeschlafen, ohne Wissen, wer und wo sie ist.
Ein Jahr später, wieder am 21.Dezember. In unserem Haus riecht es nicht nach Weihnachten, ich backe ungern. Draußen liegt kein weißer Schnee, nicht mal Schneematsch. Wie gern würde ich die kalten Zehen in Kauf nehmen.
Draußen liegt meine Lena, meine liebe Lena. Am Abend zuvor hat mein Mann gemerkt, dass sich die alte Stute in ihrer Box fest gelegen hat. Eine Stunde hat es gedauert, sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien, immerhin wiegt auch ein solches Quarterhorse um die vierhundert Kilo.
Ihre Augen flackerten im Schein unserer Taschenlampen. Der Nachbar kam herbei und überlegte mit meinem Mann zusammen, wie man Lena auf die Beine helfen konnte. Ich sah die Sache anders, nahm meinen Mut zusammen und schickte die beiden fort. Meine Lena wollte sterben, ich wusste es.
Stunden vergingen, sie versuchte noch einige Male aufzustehen, trank jede Menge Wasser. Irgendwann wurde sie stiller, ein neuer Anfall. Wieder flackerte es in ihr. Ein leises Wiehern schnürte mir die Kehle zu. Ich ließ die große Tür angelehnt und zog mich zurück. Ich ging etwas weiter weg, rauchte etliche Zigaretten. Dann ein lauter, aber dennoch dumpfes Knallen, danach Stille, große Stille. Ich ging nachschauen. Lena war aufgestanden, fast geräuschlos, durch das Tor geschritten in den Apfelgarten und dort unter freiem Himmel tot zusammen gebrochen. Frei, selbstbestimmt. Unglaublich.
Meine kleine Lena wurde sechsunddreißig Jahre alt.
Dezember 2022 ist nicht mehr weit. Ich werde für den Duft von Vanille und Zimt sorgen. Dieses Jahr möchte ich Weihnachten genießen mit der Familie und meinen Tieren. Es wird ein friedliches, stilles Fest mit traurigen, aber auch vielen tröstlichen Erinnerungen.
Vor dem 21. Dezember habe ich dennoch Manschetten.
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