Ehrlichkeit erfordert Mut - wann ist es richtig, sich zu outen?
Mein Impulsreferat zur Jitsi-Veranstaltung des BPE-Kulturnetzwerkes am 13. Januar 2022 von 15:00 Uhr bis 16:30 Uhr zum Thema "Outen":
Ehrlichkeit erfordert Mut – wann ist es richtig, sich zu outen?
Der Begriff des Outens kommt ursprünglich aus dem Bereich der sexuellen Orientierung. Sein Coming Out zu haben, bedeutet, sich seiner sexuellen Orientierung bewusst zu sein und das gegenüber seiner Umwelt zu offenbaren. Genauso ist es mit der Psychiatrie-Erfahrung. Viele Menschen waren mal in der Psychiatrie, aber außer in ihrer vertrauten Umgebung haben sie es nicht bekannt gemacht: auf der Arbeit, im Sportverein, im Chor. Es gibt viele soziale Kontexte, wo besser nicht davon gesprochen wird. Outen heißt, es anzusprechen, es auszusprechen.
In der Selbsthilfeszene über die eigene Psychiatrieerfahrung zu sprechen, ist nur bedingt ein Outen, weil alle voneinander wissen, dass es ihnen ähnlich geht. Aber es ist oftmals ein erster Schritt. Über die Grenzen dieser geschützten Räume hinauszugehen, bedeutet immer ein Risiko. Das Risiko, seinen Status zu verlieren. Das Risiko, belächelt zu werden. Das Risiko, nicht mehr beachtet zu werden.
Wieso outen wir uns dann überhaupt? Ich habe das Gefühl, dass da ein wichtiger Teil von mir ist, den ich unterdrücke, bzw. lange unterdrückt habe. Zu diesem wichtigen Teil will ich mich bekennen, um so erkannt zu werden, wie ich bin. Ich möchte angemessen anerkannt und wahrgenommen werden. Aber manchmal ist es besser, mich nicht zu outen. In einem anderen Kontext, wie zum Beispiel dem Sportverein oder dem Chor, passt es nicht, über meine Psychiatrieerfahrung zu sprechen. Ich werde eher dann für voll genommen, wenn ich es nicht tue, ja, wenn die anderen es nicht einmal wissen.
Outen kann richtig und falsch sein.
Wie erkenne ich, ob es richtig oder falsch ist? Eine Grundregel ist, dass es einen Kontext der Akzeptanz geben muss und dass man mit der Aufgeschlossenheit der anderen rechnen kann. Oder aber ich habe das Selbstbewusstsein, auch mal gegen eine Mauer zu stoßen.
Outen erfordert Mut.
Ich möchte mich als Autorin mehr mit den Themen Psychose und Psychiatrieerfahrungen beschäftigen und veröffentliche auch dazu. Damit oute ich mich zwangsläufig. Ich könnte ein Pseudonym verwenden, klar. Aber das möchte ich nicht. Denn ich will zu dem stehen, was und wie ich bin. Ich möchte sagen: Ich kann eine Autorin sein, gerade wenn und weil ich psychiatrieerfahren bin.
Outen geht nicht an einem Tag.
Ich habe jetzt hier in den Kreisen rund um den BPE, das BPE-Kulturnetzwerk und den Hessischen Landesverband damit angefangen. In meinem Facebook-Bekanntenkreis habe ich es noch nicht getan. Wenn in Kürze mein neues Buch erscheint, dann wird es aber klar sein, denn ich oute mich in diesem Buch. Es ist ein Schreibratgeber und richtet sich an Menschen mit psychischen Belastungen, die nicht nur über ihre Erfahrungen schreiben, sondern ihre Texte auch veröffentlichen möchten. Wenn das Buch da ist, dann bin ich auch in den konventionellen Literaturkreisen geoutet. Davor fürchte ich mich noch. Ich habe Angst vor dem Ausgegrenztwerden, an den Rand gestellt werden, Übersehen werden. Dabei habe ich doch nichts zu verbergen, außer eine Psychose und Psychiatrieerfahrung zu haben! Denn andererseits möchte ich ja, dass auch Vertreter*innen der konventionellen Literaturszene mein Buch lesen. Verschiedene Normen werden aufeinanderprallen. Manche Leute werden meine Haltung verstehen und gerade gut finden, bei anderen werde ich durch die Maschen fallen.
Lange Zeit konnte ich mich gar nicht outen. Meine Tochter war ein Kind und wenn ich mich geoutet hätte, wäre sie zum Gespött bei den anderen Eltern geworden. Oder die Lehrer hätten meiner Tochter schlechtere Noten gegeben, weil ihre Mutter „psychisch krank“ ist. Der andere Grund war meine Arbeitsstelle. Ich habe in Teilzeit für einen Bildungsträger gearbeitet und berufliche Umschüler unterrichtet. In diesem beruflichen Zusammenhang war es ebenfalls unmöglich, öffentlich von meiner eigenen Psychose-Erfahrung zu sprechen. In meinen Texten und Veranstaltungen habe ich mich statt mit Psychiatrie, mit Migration beschäftigt, was zweifelsohne auch ein wichtiges Thema ist. Heute ist meine Tochter eine junge Frau, die ihre Wertmaßstäbe selbst bestimmt, und das Arbeitsverhältnis habe ich vor drei Jahren beendet, weil ich mich zu fremdbestimmt fühlte. Heute kann ich es also wagen.
Mich zu outen, heißt nicht, dass ich in jeder Situation und in jeder Umgebung darüber spreche. Abe ich muss mir klar sein, dass andere von mir nun wissen, dass ich psychiatrieerfahren bin und dass es ihre Entscheidung ist, ob sie mir einen Stempel auf die Stirn drücken.
Jeder muss den Punkt für sich bestimmen, wann er oder sie es wagen kann, sich zu outen.
• Wenn man für sich mehr gewinnt, als zu zerstören
• Wenn man die Menschen, die man liebt, nicht dadurch verletzt
• Wenn man sich stark genug fühlt, Gegenwind auszuhalten
• Wenn man Freunde hat, die wie man selbst denken und die einem Kraft geben
• Wenn man sich darüber im Klaren ist, dass das, was man offenbart, nichts Schlimmes oder Peinliches ist
• Wenn man darauf achtet, in welchen Situationen man offen spricht und in welchen man besser schweigt.
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Für mich ist das Gegenteil von Mut die Angst, wie siehst du das?
Ich finde wir sollten unsere Lebenssituationen immer annehmen und den Umständen angebracht benennen. Wenn die Zeit für ein Coming out nicht gegeben ist, dann ist sie das nicht.
Wenn man das möchte macht man sich einfach auf den Weg dahin..... wenn man das nicht möchte lässt man es sein, so mein empfinden.
Gutes gelingen<3
Liebe Landschaftsmalerin,
nein, es ist nicht feige, sich nicht zu outen. Wenn es der Arbeitszusammenhang nicht erfordert, dann besteht gar kein Grund dazu. Denn man ist niemandem Rechenschaft über seine Gesundheit oder Krankheit schuldig. Wenn die "Krankheit" aber anfängt, politisch zu werden und man engagiert sich z.B. im BPE, dann heißt es Flagge zeigen, denn wie soll man sonst Öffentlichkeitsarbeit machen?
Für mich persönlich war es so, dass ich zunehmend das Verlangen verspürte, mich mit dem Themenfeld "Literatur und Psychiatrie" zu beschäftigen. Ich hätte so tun können, als wäre ich eine Beobachterin von außen, aber das wäre nach meiner Sicht "kulturelle Aneignung" gewesen, wie wenn ein Vertreter der Mehrheitsgesellschaft sich gönnerhaft in die Lage der Minderheiten versetzt. Vielleicht wäre es auch gar nicht glaubwürdig gewesen. Eigenheiten meines Schreibens, die ohne Kenntnis meiner Erkrankung schwer verständlich sind, wie auch die Lücken in meinem Lebenslauf, haben zusätzlich zu meiner Entscheidung geführt, mich zu outen.
Das Ergebnis ist, dass mein Outen in PE-nahen Kreisen gut aufgenommen worden ist. Es gibt mir neue Freiheiten, mich als Schriftstellerin und Seminarleiterin zu entfalten und sinnvolle Arbeit zu machen. In meinem angestammten Umfeld ist es jedoch oftmals schwierig. Jetzt scheint der Weg erst recht steinig zu sein. Aber vielleicht ist es auch eine Frage der Zeit und der Geduld.
Viele Grüße von SusanneK
#6
Hallo, Susanne, vielleicht habe ich wirklich "Angst". Ich versuche ja auch mich im BPE zu engagieren. Innerhalb vom BPE ist es dann auch kein Problem. Aber ich in Zukunft auch mal "Gremienarbeit" machen oder vielleicht als "Genesungsbegleiterin" tätig sein. Für diese beiden Tätigkeiten wird ein "Coming Out" eigentlich dringend nötig sein!
Liebe Landschaftenmalerin,
vielleicht kannst du dir eine Liste machen und dir schriftlich die Namen der Personen vor Augen halten, die von deiner Diagnose/Krankheit nichts wissen sollen. Dann dir überlegen, was passieren könnte, wenn sie es erfahren und wovor du Angst hast, was passieren könnte. Dann abwägen, ob du dich über deine Vorbehalte hinwegsetzt und dich trotzdem outest oder ob die Vorbehalte wichtiger sind und du dein Outen erst mal weiter aufschiebst. Also ich z.B. konnte mich nicht öffentlich outen, als ich noch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis war.
Es gibt auch Möglichkeiten, sich teilweise oder nur in bestimmten Gruppen zu outen und im Internet dann ein Pseudonym zu verwenden, zum Beispiel, wenn du als Genesungsbegleiterin an den Markt gehst. Die meisten sozialen Gruppen kennen sich gegenseitig nicht, so z.B. überschneiden sich deine Ausbildungsstelle zur Genesungsbegleiterin und der Kreis derer, die nichts erfahren sollen, wahrscheinlich nicht.
Viele Grüße von SusanneK
Hallo zusammen,
Ich habe die letzten Jahre in meinem Umfeld oft nichts von meiner Psychiatrie Vergangenheit erzählt. Ich dachte auch,dass es niemanden etwas angeht. Natürlich habe ich mich bei Vermietern auch nicht geoutet.
Doch mittlerweile habe ich meine Geschichte in Buchform aufgeschrieben und auch im Selbstverlag veröffentlicht, unter meinem Klarnamen.So bin ich: manchmal springe ich einfach ins Wasser, ohne mir Gedanken zu machen. Ich will mich aber auch nicht mehr schämen für mich und meine Geschichte. Sie ist meine Geschichte und so sind all die Traumata und meine Psychiatrisierung auch ein Teil von mir.
Vielleicht habe ich auch Narrenfreiheit,da ich schon lange nicht mehr im Arbeitsleben stehe.
Es kann ja auch Nachteile haben, sich mit Psychiatriehintergrund zu zeigen, doch wir sind dennoch Menschen, wertvolle Menschen, trotz all der Diagnosen.
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