Zwischen zwei Welten - welche ist die bessere?
11.05.2025 16:29Ich versuche den Spagat zwischen zwei Welten, der lokalen Schreib- und Literaturszene und der psychiatriekritischen Betroffenenszene. Das ist bislang nicht ohne Blessuren gegangen, aber es gibt auch Lösungsansätze.
In letzter Zeit habe ich oft Zweifel, ob ich weiter schreiben soll. Komplexe Romane, die bei den Lesern starke Gefühle erzeugen, wollen mir nicht gelingen, kunstvolle Gedichte ebenso wenig. Ich habe ein paar Bücher publiziert und viel zu wenig Interesse an ihnen erfahren. Ich habe keine schlechten Rezensionen bekommen, ich wurde einfach ignoriert. Ich wurde vorab-verurteilt und in meine Bücher wurde gar nicht erst hineingeschaut. Oder sie wurden sehr schnell weggelegt, wegen einer Vergewaltigungsgeschichte oder einer erotischen Anspielung, die so wichtig gar nicht waren.
Ein tieferliegendes Problem beim Prosaschreiben scheint bei mir zu sein, zwischen meinem Autor-Ich und der Persönlichkeit meiner Figuren nicht klar genug trennen zu können. Die Grenzen sind verwaschen. Dann will ich aus der Sicht von Figur xy erzählen und rutsche unmerklich in meine eigene Perspektive. Das merken die Leser:innen und sie können sich mit meinen Figuren nicht identifizieren. Das sagen jedenfalls einige. Ich weiß, dass es auch anderen Schreibenden so geht, besonders solchen mit psychischer Krisenerfahrung.
Eine Hilfe ist das autofiktionale Schreiben, das ich in meinem Seminar am Monatsende in Bochum anspreche und in meinem Buch "Die Haut hat kein Gedächtnis" erläutere. Autofiktionales Schreiben bietet die erzählerische Möglichkeit, beim Erzählen bei sich zu bleiben und sich dabei aber in jemand anderen zu verkleiden. Der eigenen Wahrnehmung verbunden zu bleiben, muss also gar nicht schlecht sein. Es ist in der herrschenden literarischen Welt nur verpönt.
Gesagt zu bekommen, sie könnten nicht schreiben, das hören viele. Vor allem, wenn sie die etablierten Formen nicht ausfüllen. In der Welt des Literaturbetriebs sind solche Urteile gang und gäbe. Aber ist das nicht eine Verurteilung einer Person und ihrer Arbeit? Hat sich der andere überhaupt Mühe gegeben, den Ansatz ihrer Arbeit zu verstehen? Solche Verurteilungen kämen in einer therapeutischen Schreibgruppe nie vor.
Viele Betroffene schreiben grundsätzlich aus der Perspektive der Benachteiligten und Unverstandenen, weil sie dieser Gruppe selbst angehören. Das gilt auch für mich. Aber mich jetzt vor der Literaturszene zu verstecken und mich nur noch in der Betroffenenszene zu zeigen, ist auch keine Lösung. Hier darf ich umgekehrt kaum sagen, was an einem Text vielleicht verbesserbar ist. So pendle ich zwischen zwei Welten, wie es einst die Migrantin zwischen zwei halben Heimaten tat.
Teils Opfer auf beiden Seiten, kann ich aber auch Einfluss nehmen. In die Schreibszene mehr Sanftheit bringen und in die Psychiatrieszene mehr analytische Schärfe. Die Uhr zurückdrehen kann ich nicht, seit ich vor vier Jahren begonnen habe, mich im PE-Umfeld sichtbar zu machen. Viele Menschen aus der "besseren" Gesellschaft meiner Heimatstadt habe ich dadurch verloren, die es mehr schätzten, wenn ich Regionalliteratur machte als über Psychiatrieerfahrung zu schreiben (und dann auch noch unter Klarnamen). Das hat mir sehr wehgetan und ich denke zurzeit darüber nach, wie es für mich weitergehen kann. Einen wichtigen Verlagspartner habe ich so gut wie verloren, weil seine Leute meinen Büchern auf ihren Messen keinen Platz lassen. Da nützt seine Wertschätzung auch nichts, wenn meine Bücher nicht richtig ausgestellt werden. Ein Trost: Meine Schreibworkshops werden von Schreibenden verschiedener Couleur geschätzt, das ist schön. Aber wie wird es mit meiner eigenen literarischen Produktion aussehen? Eine Ahnung habe ich schon: Vielleicht bastele ich neue Formen zwischen Erzählung und Sachtext, zwischen Rede und Gedicht. Meine Texte müssen nicht die klassischen Gattungen bedienen. Ich will frei sein, nicht für immer zwischen allen Stühlen sitzen, sondern lieber auf allen Stühlen stehen.
Bedenke: Keiner schreibt allein. So sollte es jedenfalls sein.
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Kommentare
Liebe Susanne, jetzt hatte ich ganz viel geschrieben, aber da ich nicht im Netz war, ist alles glöscht.
Im Groben ging es darum, dass es für mich weniger ein Spagat ist, sondern eher wie eine Bewegung in einem Spannungsfeld. Ich sehe das wie ein Korrdinatensystem und ich bewege mich mal in dem einen Koordinatenfeld, mal in einem anderen.
Bei mir ist vieles umgekehrt: Ich hatte schon lange aufgehört zu schreiben, weil mir die fünf Klicks und maximal ein like zu wenig war für meine Bemühungen, mein Tagebuch abzutippen. Ich habe gerade wieder angefangen mit dem Schreiben und freue mich darüber, bin aber auch gleich wieder mangels eines einzigen likes bei 33 Klicks in ein tiefes loch gestürzt. So ist das mit dem Schreiben. Ein einsames Geschäft. Man hat sich selbst zu motivieren, da ist sonst kaum jemand, der diese Aufgabe für uns übernimmt.
Ich würde sagen, wenn Du schlechte Erfahrungen damit gemacht hast, unter Deinem Klarnamen Dinge über Betroffenheit zu veröffentlichen, warum es nicht mal mit einer Veröffentlichung unter Pseudonym versuchen? Meine Erfahrungen damit sind durchweg positiv.
Aber ich wünsche mir umgekehrt, dass auch Betroffene mehr darüber erfahren, dass man durchaus auch Schreiben und Veröffentlichen kann, ohne dass die Leute zwangsläufig den Hintergrund einer Erkrankung erfahren, wenn wir nicht darüber schreiben. Ich will aber nicht gleich für die Ewigkeit abgestempelt werden.
Es bleibt ein spannendes Thema, das wir nicht heute abschließend behandeln werden.
Ich freue mich, zum Schreibwochenende zu kommen.
Bis dahin alles Liebe
Moin, einen lieben Gruß von uns MuoMhs, wir sind auch in zwei bzw. mehr Welten unterwegs!
Liebe Susanne, vielen Dank für deinen Text. Ich bin an einem ähnlichen Punkt. Ich habe es die Tage so beschrieben, ich stehe auf der Schwelle zwischen zwei Welten, ich selbst will da stehen oder traue mich nicht auf einer Seite zu bleiben, daran arbeite ich noch. Ich finde den Gedanken schön, in der Schwelle zu leben, ein bisschen wie ein Wegweiser, es gibt so verdammt viele Türen/Möglichkeiten wenn man zum Betroffenen wird aber systemisch wird man in nur einen Weg geleitet, üblicherweise. Das System offener zu machen ist ein langatmiges Tun, das vor langem begann... viel Kraft uns!
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Liebe Silvia, danke für deinen Kommentar, an der Schwelle zu sein, ist ein gutes Gefühl, das Hoffnung stiftet und Erwartungen fördert.
Lieber York, danke für deinen Kommentar, vielleicht sind wir in mehr als zwei Welten unterwegs und das Schwierige daran ist, dass in den verschiedenen Welten ganz unterschiedliche Spielregeln gelten.
Liebe Marie Madeleine, danke für deinen Kommentar. Pseudonym!!! Wäre vielleicht besser gewesen. Ich hab den Klarnamen genommen, um meine Authentizität zu unterstreichen. Mein Buch "Camilles Schatten" war 2005 zum ersten Mal erschienen, unter meinem Klarnamen, und damals recht gut angekommen. Und jetzt hat sich alles gedreht. Auch dein Hinweis mit dem Koordinatensystem ist gut. Wenn man selbstbewusst die Felder wechseln kann, dann verheddert man sich nicht so. Vielleicht kann ich in Zukunft etwas besser machen. So ist es schade, für mein Selbstwertgefühl und für meine Bücher in der Öffentlichkeit. Ich freue mich aber schon sehr auf das Schreibseminar in Bochum und habe schon einiges für euch vorbereitet.